CELLE. Nach guter Tradition hatte heute die Altstädter Schützengilde ihre Majestäten, Mitglieder sowie Gäste aus befreundeten Vereinen, Gesellschaft und Politik zum Königsmahl eingeladen - unter ihnen der mutmaßliche Rekordhalter als längst amtierender König der Vereinsgeschichte: David Cotterill, danke Corona drei Jahre im Amt. So ergeht es auch dem Vizekönig Stefan Schollenberger und dem amtierenden Freihandkönig Jonas Wittke.
Neben einigen Ehrungen (Infos folgen) hielt Pastor Volkmar Latossek die diesjährige "Barometer-Rede" - auf CELLEHEUTE im Original: "Endlich! Endlich wieder Schützenfest. Endlich wieder ein Stück vertraute Normalität. Und dazu gehört: die Barometerrede! Sie hat mir gefehlt in den Jahren ohne Schützenfest. Nicht weil ich Ihnen das Wetter vorhersagen möchte, eher weil unser Treffen so eine gute, alte Tradition ist. Ein Kollege hat mal gesagt: „Wenn in Celle etwas zweimal nacheinander stattgefunden hat, dann ist das gleich eine „gute, alte Tradition!“ Und tatsächlich, so empfinde ich die regelmäßige Einladungen zur Barometerrede auch als gute, alte Tradition. Und nach der langen Coronawarteschleife auch als ein besonderes Geschenk.
Als Wetterfrosch bin ich nicht besonders gefordert. In den letzten Jahren gab es immer zu wenig Regen im Sommer, und wenn es denn mal regnete, dann gerne am Schützenfestwochenende - ausgerechnet. Wir sind dankbar, dass das in diesem Jahr nun wirklich kein Thema war. Also: Der Luftdruck zeigt: moderate Hochdruckwetterlage! Sogar bis in den Sport hinein Hochdruck: Die deutschen Fußballdamen zeigen es den Herren und fegen die Gegner in ihrer Gruppenphase mit Hochdruck vom Platz; und vielleicht übersehen: Frauen und Männer wurden bei den Faustballern Weltmeister - „ja“, das ist eine Randsportart, aber immerhin. Überall in den diversen Sportligen bereiten sich dir Mannschaften auf die neue Saison vor: Strategiesitzungen und Spielerwechsel, bestimmen das Bild.
Außer bei Bayern München, da hat Olli Kahn im Mai gesagt: „Basta, der Lewy, der bleibt!“ Und das galt auch – bis vorgestern, da sagte Olli dann: „Lewy geh! Barcelona bietet genug für dich!“ Ich gestehe, am Anfang habe ich die Stirn gerunzelt und gedacht: „Hä? So sind sie, die Bayern!“ Aber dann habe ich nochmal gelesen, was Oliver Kahn jetzt zum Thema Lewandowski gesagt hat: „Mit dem Basta wollte ich im Mai eine fruchtlose Diskussion beenden. Damals hatten wir noch nicht mal ein Angebot von Barcelona vorliegen. Inzwischen hat sich die Situation grundlegend geändert, entsprechend haben wir unsere Meinung angepasst.“ 45 bis 50 Mio. € aus Barcelona. Jetzt geht Lewandowski also doch nach Spanien. Das heißt, er fliegt natürlich erster Klasse!
Wer heute „Basta“ sagt, meint vielleicht nur noch: „Nervt mich nicht mit der Diskussion, ich will meine Ruhe. - Wie ich entscheide, sehen wir später.“
Und ich bin ein großer Freund abgewogener Entscheidungen. Deshalb gefiel und gefällt mir auch die unaufgeregte Ausstrahlung von Frau Merkel und Herrn Scholz. Vielleicht bin ich ein zu schlichtes Gemüt, aber bei beiden Typen fühlte ich mich gut aufgehoben: „Die fangen erstmal an zu grübeln, bevor sie was entscheiden. Gut so!“
Und da ist ja Einiges zu begrübeln:
Corona musste gesellschaftlich, gesundheitspolitisch und wirtschaftlich gestemmt werden. Dank der großartigen Forscher, die uns Medikamente und Impfstoffe innerhalb weniger Jahre beschafft haben. Vielleicht sind wir noch nicht über’n Berg – aber wir sind viel besser dran als im Sommer vor zwei Jahren. Damals war die einzig mögliche Entscheidung: Schützenfest – das können wir im Moment nicht riskieren. Heute sind wir weiter!
Dann kam der Krieg, der von Osten her durch die Ukraine walzt. Was für ein sinnloses Gemetzel und Zerstören der Lebensgrundlagen! Wie viele andere haben auch wir in der Stadtkirche ein ganzes Haus geräumt und als Notquartier zur Verfügung gestellt. Und die deutsche Politik? Die finde ich angemessen; dieses „moderate basta“: So geht’s nicht weiter, Herr Putin! Hilfe für Flüchtlinge und klare militärische Grenzen. Anders geht es nicht! Und natürlich muss dabei unter die Lupe gelegt werden, was wir und die Nato tun können. Da gibt es viel abzuwägen.
Mit Basta allein kommt man nirgendwo zurecht! Das ist auch das heimliche Motto meiner aktuellen Lieblingsserie bei Netflix: Borgen. Borgen steht für Christiansborg, den Sitz der dänischen Regierung in Kopenhagen. In der Serie wird von Birgitte Nyborg (richtig buchstabiert!) erzählt. Sie ist als dänische Premierministerin, bzw. später als Außen-ministerin aktiv. Immer neue Herausforderungen sind zu meistern. Mal ist die konservative Bauernpartei zu gewinnen, dann gilt es, Friedensverhandlungen zweier afrikanischer Staaten zu verhandeln. Die Tochter im Teenageralter muss vor Journalisten geschützt werden und die bröckelnde Ehe gekittet werden. Immer wieder neu taucht darin der Wahlspruch von Birgitte Nyborg, dieser sympathischen Realpolitikerin auf: „Was sind meine Möglichkeiten?“
„Was sind meine Möglichkeiten?“ Solch ein Satz setzt schon voraus, dass nichts und niemand alternativlos ist. Es war ja eine ganze Zeit lang Mode, von alternativlosen Beschlüssen zu sprechen. Ich glaube, das haben wir inzwischen gelernt: Nichts ist alternativlos. Es gibt immer mehrere Möglichkeiten. Borgen ist damit tatsächlich eine Politikserie, die in unsere Zeit passt. Da sind keine einsamen Chefs, die einfach so ein „Basta“ raushauen, sondern sehr wohl abgewogene Menschen.
„Was sind meine Möglichkeiten?“
Corona, Ukraine, Klimakrise, nichts ist so einfach, dass es mal eben im Vorübergehen gelöst werden könnte. Man muss die unterschiedlichen Möglichkeiten ausforschen:
Und es ist eben auch das Gleiche in unserem kleineren Alltag:
Schützenfest; ja oder nein? – Ja, wenn irgend möglich, notfalls mit gesundheitspolitischen Sicherheitsmaßnahmen.
Gottesdienste und Konzerte? – Ja natürlich, aber wie? So frei wie möglich, so vorsichtig wie nötig. Das wechselt natürlich! Mit Abstand und Maske oder ohne?!
Urlaub? - Harz und Ostsee oder Malediven und Dom.-Rep.?
Was sind meine Möglichkeiten? – Das ist die Frage, die jeder beantworten muss. Und es ist nicht so, dass alles wie ein Schicksal über uns kommt, und wir nur stillhalten müssen.
Corona? „Kann man nichts machen?“ – Doch! Vorsicht, Impfen, Masken, Abstand!
Ukraine? „Schlimm, aber ich?“ – Doch, helfen, unterstützen, Gas und Benzin sparen!
Klima? „Was kann ich schon tun?“ – Sehr viel! Was sind meine Möglichkeiten? Sorgfältig durchgehen, was ich tun kann; prüfen und umsetzen!
Wie Oliver Kahn sagte: Wir haben eine ganz neue Situation! Da muss man die Beschlüsse von früher überdenken. Keiner kann heute mehr ernsthaft behaupten: „Ach, früher gab es auch Sommer mit wenig Regen!“ Der Klimawandel ist so nachdrücklich erkennbar, jeder Einzelne ist gefordert zu fragen: „Was sind meine Möglichkeiten?“ – Und wenn das gründlich durchdacht ist, dann kann man auch mal sagen: „Basta, Schluss damit!“ Aber vorher nicht.
Ich wünsche Ihnen und mir Geduld und Spucke, dass wir die eigenen Möglichkeiten prüfen, in unseren Alltagsfragen und in den großen Themen unserer Zukunft. Gelegentlich wird am Ende ein „basta“ dabei rauskommen und das ist dann auch OK, siehe Oliver Kahn: von Basta zu Basta, aber mit sorgfältigem Grübeln in der Mitte.