CELLE. Vintage und used look liegen im Trend, aber gilt dieses auch für die Pflasterung eines öffentlichen Platzes? Die vor wenigen Wochen installierten Granitsteine vor dem Kino am Brandplatz werden zwar noch einmal aufgenommen und neu verlegt, aber dieses geschieht nicht, weil sie schon jetzt im negativen Sinne gebraucht, nämlich verschmutzt, aussehen, sondern weil sie fehlerhaft aufgebracht wurden. Widersprüchliche Angaben aus dem Rathaus lassen zudem vermuten, dass nicht alles mit rechten Dingen zugeht.
Die Sanierung des baumbestandenen Areals zwischen der Neuen Straße und Schuhstraße wurde lange vorbereitet, unter Ausschluss der Öffentlichkeit wich man ab von den Ursprungs-Plänen, strich z.B. die Wasserrinne. Zahlreiche Aspekte, nicht zuletzt die Finanzierung, sorgten im Vorfeld für Diskussionen. Und auch der laufende Prozess der Umgestaltung wird kritisch begleitet – die Geschäftsinhaber vor Ort beschweren sich regelmäßig über Umsatzeinbußen aufgrund der monatelangen Baumaßnahmen, die Entfernung des denkmalgeschützten Brunnens löste angesichts des jüngsten Dürresommers einmal mehr Unverständnis aus. Und nun ist es die Art der Flächen-Versiegelung sowie die neue Umgebung der Linden, an denen mancher Einwohner Anstoß nimmt.
"Bäume im Schotterbeet"
„Mich packt das Grauen, wenn ich die Bäume im Schotterbeet sehe“, schreibt eine CELLEHEUTE-Leserin an die Redaktion über die Einbettung der Linden auf der östlichen Seite in einen luft- und wasserdurchlässigen Belag (LUWADUR), der laut Rathaus zum Schutz aufgetragen wurde. „Dies ist der Endzustand“, teilt die Verwaltung auf CH-Nachfrage mit und ergänzt, es seien noch mehrere Sitzbänke vorgesehen.
Entwarnung also bei dieser Beschwerde, die Beobachtung des Celler Geologen Martin Kinzel wiegt im Vergleich weit schwerer. Er beurteilt das Material für die Pflasterung als „eher ungeeignet“. „Der Granit ist sehr, sehr hell, das deutet darauf hin, dass er viel von dem anfälligen Mineral Feldspat enthält. Anders als z.B. die Granit-Steine in der Schuhstraße.“ Sein Eindruck, nachdem er mit der Hand über einen Palettenstapel geglitten ist: „Das fühlt sich an wie typische Baumarktware aus China, die sich leicht zusägen lässt. Das ist aber nur eine Vermutung“, betont Kinzel.
Granit kommt überall auf der Welt vor, es besteht überwiegend aus drei Mineralien: Feldspat, Quarz und Glimmer. Bei der Feldspat-Variante des „Brandplatz-Granits“ handelt es sich um weißen Kalknatronfeldspat (Plagioklas). Dieser sei laut dem Geologen unter atmosphärischen Bedingungen chemisch instabil. „Das Mineral verwittert schnell, wird rissig und bildet einen Nährboden für Algen und Moose – bei Nässe schön rutschig“, sagt der Celler.
"Brauner Saft der welken Blätter dringen bereits ins rissige Material"
Deutlich abzulesen sei dieses an den Steinen vor dem Kino: „Die Feuchtigkeit, der braune Saft der welken Blätter ist bereits in das Gestein eingedrungen. Dieses sagt aus, dass es sich um ein rissiges, kein hartes Material handelt.“ Er empfiehlt, beim Auftraggeber in Erfahrung zu bringen, ob eine Zertifizierung vorliege.
Es bedarf mehrerer gezielter Nachfragen, um folgende Aussagen von Seiten der Verantwortlichen im Neuen Rathaus zu erhalten: „Die Steine wurden nach Vorgaben der Stadt von der beauftragten Firma gekauft. Sie kommen weder aus Indien noch aus China, sondern aus Europa (Portugal). Gewisse Vorgaben sind im Angebot fixiert und wurden von der Stadt Celle vorgegeben. Das Natursteinmaterial ist zertifiziert und wurde im Vorfeld auf diverse von uns vorgegebene Anforderungen und Eigenschaften entsprechend den Normen und Richtlinien (z.B. Struktur, Biegefestigkeit, Frost-Tausch-Beständigkeit, Abriebwiderstand) überprüft.“
Widerspruch aus dem Rathaus: "Material wurde verändert" - "Immer schon Granit"
Anlass, den Vorgang insgesamt kritisch zu begleiten, ergibt sich aus der Vorgeschichte der Brandplatz-Planung, die die Notwendigkeit zur Einsparung beinhaltet. Im Oktober 2021 sprach das Neue Rathaus von Steigerungen für die Sanierung in Höhe von einer halben Mio Euro aufgrund der explodierenden Kosten in der Baubranche. Der Rat sollte am 4. November 2021 den Mehraufwand genehmigen. In Vorbereitung der Sitzung hatte es geheißen, von einer erneuten Ausschreibung verspreche man sich keine wesentliche Senkung. Doch genau dieses geschah. Der Tagesordnungspunkt wurde kurzerhand ohne Erklärung gestrichen, und es erfolgte eine Neuausschreibung - mit dem gewünschten Ergebnis. „Wie ist es gelungen, die erwartete Kostensteigerung zu umgehen?“, wollte CH anlässlich des angekündigten Starts der Umgestaltungsarbeiten zu Beginn des laufenden Jahres wissen: „Es ergaben sich Einsparungen im Wesentlichen durch Änderung des Materials“, teilte Pressesprecherin Myriam Meißner am 7. Februar mit.
Monate später, kurz vor Fertigstellung des Projektes heißt es nun auf die Frage, ob das ursprünglich ausgewählte Material verwendet werde: „Ja, bereits in der Ursprungsplanung wurde Granit vorgesehen und wird auch verlegt.“ Und wurde bereits in Teilen einem Praxistest unterzogen, ließe sich ergänzen.
Und dieser veranlasst den Geologen Martin Kinzel zu folgender Überlegung: „Warum vertraut die Stadt blind einer Materialzertifizierung, wo doch die Veränderungen des Gesteins unter der Einwirkung feuchten welken Laubes offensichtlich sind? Wäre hier nicht eine Beanstandung des Materials im Rahmen der Gewährleistung angebracht?“