CELLE. „Das war ja eine Hauruckaktion“, kritisiert Ludwig Dahmen die sehr kurzfristige Ankündigung der Bürgerbeteiligung am Samstag auf dem Robert-Meyer-Platz. Anscheinend benötigten die Celler jedoch keine Vorbereitung, um sich einzubringen beim Thema „Wie sieht die Innenstadt der Zukunft aus?“. „Schon eine halbe Stunde vor dem offiziellen Beginn fanden sich hier Interessierte ein“, berichtet Thoma Schumacher von der Stabsstelle Stadtentwicklung, der als alleiniger Vertreter der Verwaltung für Fragen zur Verfügung stand. Unterstützt wurde er von Kristina Lutterbeck vom Büro cappel + kranzhoff aus Hamburg, das vom Rathaus mit der Ausarbeitung eines Strategiepapiers beauftragt wurde, um an einem Wettbewerb um EU-Fördergelder teilnehmen zu können.
Der Europäische Fonds für regionale Entwicklung stellt Gelder zur Verfügung, um die Chance zu bieten, niedersächsische Innenstadtbereiche unter dem Leitmotiv der Resilienz behutsam umzugestalten. 36 Städte und Gemeinden können sich bewerben, 15 werden auf Basis eines eingereichten Konzeptes, das die Handlungsfelder Soziales, Ökonomie und Ökologie berücksichtigen muss, ausgewählt.
Den gesamten Vormittag über ist der Platz vor den Stellwänden gut besucht, Passanten greifen zum Stift und schreiben ihre Wünsche und Anregungen hinter Fragen wie: Welcher Platz gefällt Ihnen gar nicht und warum? Was muss Celle bieten, damit mehr junge Menschen in die Stadt ziehen bzw. bleiben? Wo gehen Sie in der Innenstadt gerne lang und warum? Welche Orte müssen besonders gut miteinander verbunden sein.
„Blumen-/Insektenstreifen erhalten und einrichten; mehr Abfalleimer und die regelmäßig leeren; alte Bäume erhalten, pflegen, prüfen“, schreibt Claus Stahl. „Ich finde, das ist eine sehr gute Aktion“, sagt der Celler, der sich als Berufsnörgler bezeichnet in Anspielung auf ein Interview des Oberbürgermeisters, in dem dieser kritische Stimmen als „Berufs-Nörgler“ titulierte. Als Mitglied der AG Fahrrad im Rathaus hat er die Erfahrung gemacht, dass vieles anders gemacht wurde, „als wir vorgeschlagen hatten“, er ist mittlerweile ausgetreten, bleibt aber in puncto Mitwirkung bei der Gestaltung der Stadt zuversichtlich: „Wir müssen den Leuten mehr auf die Finger schauen, dranbleiben, bitten. Man kommt eh nur in kleinen Schritten voran. Und es ist ja auch schon was passiert.“
Auch Ludwig Dahmen und Hans-Gerhard Grote freuen sich, dass öffentlich gefragt wird. Sie sind im Seniorenbeirat aktiv und sorgen sich derzeit um den Mangel an öffentlichen Toiletten. „Es kann doch nicht sein, dass wir im 21. Jahrhundert über Toiletten diskutieren. Aber es ist schwer und meistens geht es ums Geld.“ Beiden reichen Plakataktionen allerdings nicht: „Die Bürger müssen auch an Gesprächsrunden teilnehmen können.“
Dass man Aktionen wie die heutige am Robert-Meyer-Platz auch als Alibiveranstaltungen missbrauchen kann, scheint vielen Teilnehmern klar zu sein. Dieses wird deutlich aus dem Fazit, das die Stadtplanerin vom Büro cappel + kranzhoff Kristina Lutterbeck nach rund zwei Stunden zieht: „Als Kritik wurde oft ‚Alibiveranstaltung‘ genannt.“ Aber davon abgesehen ist sie sehr zufrieden, junge Leute seien unterrepräsentiert gewesen, darüber hinaus habe sich ein Querschnitt der Bevölkerung beteiligt. „Ich habe nicht damit gerechnet, dass so viele Menschen kommen würden.“ Veröffentlicht werden die niedergeschriebenen Anregungen und Kritikpunkte nicht. „Sie werden ausgewertet und fließen in die weitere Planung mit ein“, erläutert Thomas Schumacher. Bis Ende Februar soll das Strategiepapier fertig sein, die Frist läuft bis Ende April, bis dahin muss es von den politischen Vertretern im Rat beschlossen worden sein.
Sollte Celle zu den 15 ausgewählten Städten gehören, dann stehen innerhalb der EU-Förderperiode bis 2027 Budgets in Höhe von 3,95 bis 4,2 Mio Euro zur Verfügung. „Für die konkrete Umsetzung von Maßnahmen würde dann eine Steuerungsgruppe gebildet werden“, sagt Schumacher. Auf die Frage, ob Bürgerbeteiligung eine zwingende Voraussetzung für die Bewerbung sei, antwortet er: „Nein, das ist es nicht, aber sie wird empfohlen.“ In der Beschreibung des Programms „Resiliente Innenstädte“ heißt es: „Lebendigkeit und Nutzungsvielfalt führen zu einer Abkehr von Monostrukturen, Beteiligungsprozesse an der Gestaltung der Innenstadt erhöhen Akzeptanz und Kreativität.“