CELLE. 1.7.2023, 0 Uhr: Peter Fehlhaber, Gründer und Herausgeber von CELLEHEUTE.DE, übergibt das Unternehmen nach mehr als 13 Jahren in neue gute Hände, der "Celle Online Medien GmbH". Am letzten Tag eine Premiere: ein "Selbst-Interview", inspiriert von Danny da Costa von Eintracht Frankfurt.
CH: Sie haben CELLEHEUTE samt allen Kanälen wie Facebook, Instagram, Twitter und Tiktok sowie dazugehörigen Seiten wie BLAULICHTHEUTE, CHTV oder CELLEGESTERN veräußert. Sind Sie käuflich?
Fehlhaber: Na klar, ich bin schließlich Journalist. Aber Scherz beiseite: Abgesehen davon, dass man über Geld nicht spricht - es war nie der Grund für den Verkauf.
CH: Sondern?
Fehlhaber: Ohne in die Tiefe zu gehen und Sie langweilen zu wollen, aber "alles hat seine Zeit." Seit mehr als 30 Jahren bin ich Journalist, anfangs im Hörfunk, später Fernsehen. CELLEHEUTE war eigentlich nur ein Produkt für meine Heimat, eher als Blog gedacht. Am Ende wurde es "aus Versehen" erfolgreich mit der höchsten Reichweite in der Region, mit Kolleginnen und Kollegen und einhergehend Personalverantwortung - doch "Chef sein" liegt mir einfach nicht. Verantwortung ist auch Last - und ohne selbständig denkende und handelnde Mitarbeiter hätte ich längst das Handtuch geschmissen.
Auch Community sorgt für Nachrichten
Um es exemplarisch an einer Auswahl meines langjährigen loyalen Teams zu verdeutlichen: Mein Kollege Peter Müller war seit zehn Jahren das Gesicht von CELLEHEUTE - es mag vielleicht andere gute Fotografen geben, aber niemanden mit dieser Erfahrung, einem solchen Netzwerk und dem Gespür, Geschichten zu erkennen und zu vermitteln. Auch an die Schreibe und Zuverlässigkeit von Anke Schlicht kommt weit und breit kaum jemand heran. Dazu mit Daniel Maneke in all den Jahren der erste IT-Fachmann, der nicht nur Programme beherrscht, sondern eine bis dahin nie gekannte Erreichbarkeit, Schnelligkeit und Problemerkennung und -lösung bietet. Bis dato hatte ich einen sechsstelligen Betrag in Agenturen versenkt - doch wie so oft im Leben sind die einfachsten die besten Lösungen. Auch hatten Jungjournalisten wie Jakob Gieseking und Carl Balzerowitz mit CLEVERHEUTE, einer Schüler-AG an meiner ehemaligen Schule, dem Ernestinum, die Möglichkeit, erste Erfahrungen zu sammeln - Carl plant jetzt ein Studium im Journalismus und Unternehmenskommunikation.
Nicht unerwähnt lassen möchte ich die CELLEHEUTE-Community: Neben den wunderschönen Leserfotos erfahren wir von vielen Ereignissen brandaktuell von Lesern oder im wahrsten Wortsinn von engagierten Feuerwehrsprechern. Und wer hat schon so einen "Follower" wie CeBus-Fahrer Yusuf Bas, der eigentlich "freiberuflicher CH-Fotograf" ist - oder umgekehrt?
"Einst sorgten Journalisten für Meinungsbildung, heute machen sie Meinung"
CH: Hört sich an, als seien Sie mit allem zufrieden. Warum hören Sie trotzdem auf?
Fehlhaber: In den 30 Jahren hat sich meine Arbeit und der Journalismus verändert - das ist ja auch erst einmal gut, Stillstand ist Rückschritt. Wenn aber Fortschritt Rückschritt bedeutet, macht es mir Sorge. Das fängt in meiner eigenen Zunft an: Damals sorgten Journalisten für Meinungsbildung, heute machen sie Meinung. Man spricht offen von "Haltungsjournalismus". Wer allein schon hinterfragt, landet in der rechten Schublade. Wer auch den aktuellen Fall in der "Heute Show" nicht endlich als Weckruf versteht und die Hetze gegen Andersdenkende von den "Böhmermanns dieser Welt" erkennt und benennt, hat ein bedenkliches Verständnis von Demokratie und Journalismus.
Ein Facebook-Post erreichte 3,5 Mio. User
Dann sind da noch die Protagonisten, über die wir berichten. Auch sie scheinen zunehmend überfordert mit der Themenflut, müssen aber über Dinge entscheiden, von denen sie oft keine Ahnung haben. 34 Mio. Euro mutmaßlicher Investitionsstau bei der Congress Union und alle Entscheider zucken mit den Achseln. Ihre einzige Lösung: "Da muss ein Gutachten her", weil sie das vorherige für weitere Millionen vergessen oder nicht mal gelesen und wenn, dann nicht verstanden haben.
Und die Leser? Die juckt es kaum. Einen Beitrag später gibt es einen Kellerbrand und die Klicks gehen nicht drei- oder vierfach, sondern 50-fach in die Höhe. Ein durstiges Eichhörnchen bekam allein auf Facebook, ich habe extra nochmal geschaut, 87574 Likes, 3593 Kommentare, wurde 37510 Mal geteilt und erreichte 3,5 Mio. User!
Das alles bitte nicht als frustrierten Rundumschlag verstehen - es sind erst einmal Feststellungen, für die ich teilweise sogar Verständnis habe. Ab einer gewissen Millionensumme fehlt vielen die Vorstellungskraft, obwohl es das verbratene Geld der Leser ist - doch neben Klimakrise, Coronawirren, Ukraine-Krieg und zig anderen Kriegen nebst Inflation und Wasserknappheit u.v.m. ist die Aufnahmefähigkeit begrenzt.
"In meinem Job hat man nicht nur Freunde"
CH: Aber Sie können doch etwas bewegen, das Land Niedersachsen hat sogar zwei Coronamaßnahmen nach Ihrer Berichterstattung geändert - auch "Extra 3" und Mario Barth lesen CELLEHEUTE und, Funfact, den Begriff "Celler Binde" haben Sie geprägt.
Fehlhaber (grinst): Ganz dünnes Eis - wegen des legendären Kreiselzauns habe ich es mir mit unserem Oberbürgermeister verscherzt, aber inzwischen können wir wieder gemeinsam "lamentieren, lästern und lachen", was mich sehr freut. Im kleinen Celle kann man sich eh nicht aus dem Weg gehen. Ja, in meinem Job macht man sich nicht nur Freunde und ich möchte nicht jedermanns Freund sein, aber zu allen fair. Was nicht immer einfach ist, weil viele nicht verstehen, was wirklich geschrieben steht, sondern was bei ihnen ankommt. Das typische Sender-Empfänger-Problem.
"Vielen Lesern genügt die Überschrift und schon haben sie eine Meinung"
Ich musste mich nicht selten sogar vor meine Kollegen der CZ stellen, wenn sich mal wieder jemand bei uns über sie beschwert hatte. Niemand stört beispielsweise Unfallberichte, wie vorhin dargestellt, ganz im Gegenteil - aber wehe, man selbst ist der Grund für eine Nachricht. Dann werden wir nicht selten aufgefordert, diesen umgehend zu löschen samt Drohung mit Anwalt und sonstigem Halbwissen wie "Rechte am Bild".
Die eigentliche Herausforderung aber: Vielen Lesern genügen inzwischen Überschriften und bestenfalls der erste Absatz. Anstelle sich Zeit für Informationen zu nehmen, verschwenden sie diese für Kommentare, oft am Thema vorbei oder mit Fragen, die im zweiten Absatz beantwortet werden - manchmal, ohne Scherz, sogar im zweiten Satz. Nicht selten scheint der Gender- und Wokewahn wichtiger als der Inhalt. Da fragt man sich schon: "Möchte ich für diese Zielgruppe meine Zeit investieren?"
"Serviere mir die Nachrichten, ich bin zu faul zum Googeln"
CH: Kürzlich auf der Jugendkonferenz in der CD-Kaserne sagten die Schüler einmütig, dass sie nur CELLEHEUTE lesen würden - das muss doch runtergehen wie Öl?
Fehlhaber: Ja, aber Sie haben nicht zu Ende gehört: sie lesen uns allein auf Instagram! In jedem Post verweisen wir auf die "richtigen Nachrichten" auf CELLEHEUTE.DE, aber ihnen genügt die Schlagzeile - und immer mehr Erwachsenen auch. Sie fühlen sich tatsächlich informiert und glauben, sich eine Meinung bilden zu können. Diese Entwicklung ist bedenklich - neben der zunehmenden Trägheit, sich nicht mehr selbst zu informieren, sondern in irgendwelchen Gruppen nach dem nächsten Flohmarkt oder verkaufsoffenen Sonntag zu fragen. Dort findet sich leider immer ein Lakai, der für sie googelt und diesen Phlegmatismus fördert. Wir haben meist frech geantwortet in der Hoffnung, sie aufzuwecken - aber das nächste Mimimi, wie unverschämt wir doch seien, ließ selten lange auf sich warten.
An der Gratis-Mentalität sind auch wir schuld
CH: Bedeutet der Abschied für Sie das obligatorische weinende und lachende Auge?
Fehlhaber: Zwei lachende Augen! Alle in den vergangenen Tagen gehörten Phrasen wie "dein Lebenswerk", "dein Baby", "Celleheute warst doch du" etc. sind mir fremd und halte es eher mit "der Friedhof ist voller unersetzlicher Persönlichkeiten." Auch bleibt Kritik nicht aus, mit dem Verkauf quasi unseren Gegenpart zum Meinungsmonopol "verraten" zu haben - diesen entgegne ich: Warst du Medienpartner, Anzeigenkunde oder wenigstens 1-Euro-Abonnent? 99,5 Prozent werden mit "Nein" antworten. An dieser Gratis-Mentalität sind auch wir schuld, aber "für umme" konsumieren und dann noch Ansprüche stellen, ist eine ziemlich schräge Erwartungshaltung in immer mehr Bereichen der Gesellschaft.
CH: Werden Sie künftig Privatier oder haben Sie neue Projekte am Start?
Fehlhaber: Also für eine Yacht reicht der Kaufpreis nun auch wieder nicht und ich sehe mich eher nicht am Strand mit Goldkettchen liegend. Mit fehlhaber.medien werde ich weiter u.a. für Radio-, TV- und Videoproduktionen tätig sein. Neue Pläne gibt es jedenfalls keine und ich lasse alles auf mich zukommen. Vielleicht fahre ich eines Tages Taxi - der Gedanke gefällt mir zumindest.
Erst einmal freue ich mich, dass "Celle Online Medien" die Zukunft einleitet und ich ihnen die Chance geben darf, mit der Zeit zu gehen, bevor ich mit der Zeit gehe.