CELLE. Volker Thürk ist nicht nur bitter enttäuscht von seinem früheren Arbeitgeber, er geht noch weiter: „Ich schäme mich für die Deutsche Bahn“, sagt er mit Nachdruck am Ende des gestrigen „#Stadtgespräches #CDU“ auf dem Hof Lehmann in Klein Hehlen. Der Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt, das Interesse an den Ausführungen des Hauptreferenten Volker #Thürk zum Thema „Bahninfrastruktur – Bestands- versus Neubau“ war überaus groß, auch die vielen Fragen im Anschluss an die Vorträge belegten dieses.
Der Pensionär war 48 Jahre lang in leitender Position im operativen Betriebsdienst der Deutschen Bahn (#DB) tätig und gehörte dem Aufsichtsrat der DB Netz AG an. Moderator Christian #Ceyp stellte ihn als ausgewiesenen Experten vor. Einige Gäste im Publikum waren für Thürk alte Bekannte aus der Zeit des Dialogforums Schiene Nord vor rund 10 Jahren, Thürk gehörte zu denen, die den Alpha-E-Kompromiss, der sich für den Ausbau der Strecke Hamburg-Hannover im #Bestand ausspricht, ausgehandelt haben. Zunächst hatte die DB sich einverstanden erklärt, nun legt sie jedoch zwei #Neubauvarianten vor, eine entlang der A7, die andere entlang der B3 durch den Landkreis Celle. Welche Auswirkungen dieses auf die Natur und Landschaft speziell in und um Boye hätte, stellte der Ortsbürgermeister Heiko Gevers (CDU) in einem zweiten Referat dar.
Christian Ceyp erwies sich als sehr guter Moderator, unter anderem, indem er einige grundsätzliche Rahmenbedingungen, die einen Ausbau des Schienennetzes notwendig machen, nannte. Der Druck durch die Containeranlieferung im Seehafen Hamburg nehme zu, der Güterverkehr müsse im norddeutschen Raum besser verteilt werden. Verkehrswissenschaftler prognostizieren, dass es im Jahr 2030 87 % mehr Züge gebe, die die aktuelle Infrastruktur überfordern würden.
KAPAZITÄT DES CELLER BAHNHOFS ERHÖHEN
„Wenn wir die Kapazität erhöhen wollen, dann müssen wir schnell rangehen“, sagte Ceyp. „Dieses wird nicht gelingen, wenn wir uns lange über eine Neubaustrecke streiten, sondern den Bestand verbessern.“ Ausbaustrecken könnten abschnittsweise in Betrieb genommen werden, eine neue Trasse erst, wenn sie komplett fertig sei. Die frühere Bundestagsabgeordnete der SPD Kirsten Lühmann betonte: „Die Inbetriebnahme einer Neubaustrecke wird es vor 2040 nicht geben.“ Ohne eine mögliche Klage zu berücksichtigen, habe die Bahn den Start einer neuen Trasse Hamburg-Hannover für 2036 angekündigt, vorausgesetzt die Planung liege im Jahr 2020 vor. Ceyp hob als Vorteil des Bestandsausbaus hervor, dass für diesen lediglich ein Planfeststellungsverfahren erforderlich sei, die Neubauvarianten hingegen zusätzlich eines Raumordnungsverfahrens bedürften.
Dargelegt wurde, dass das von der Bahn als Hauptargument für einen Neubau herangezogene Nutzen-Kosten-Verhältnis (NKV) kein geeigneter Indikator sei, er bilde den betriebs- und volkswirtschaftlichen Wert ab, lasse jedoch den Faktor Umwelt sowie die Betroffenheit der Kommunen weitgehend außen vor. Zudem werde die Bestandsvariante künstlich verteuert durch den Komplettumbau der Bahnhöfe Celle, Uelzen und Lüneburg. Dennoch mahnte Lühmann mit Blick auf den favorisierten Bestandsausbau: „Man muss die Kosten senken.“ Aus Informationsveranstaltungen der DB hat Volker Thürk die Erkenntnis mitgenommen, dass die Pläne für den Bahnhof Celle von Leuten erstellt wurden, „die ihn noch die gesehen haben.“ Nicht nur vor diesem Hintergrund, sondern mit Blick auf die abgelieferte Arbeit der DB insgesamt sagte er: „Da ist etwas schief gegangen.“ So gebe es z.B. keinen Auftrag vom Bundesverkehrsministerium, sondern lediglich einen vom Eisenbahnbundesamt, „aber davon wusste das Verkehrsministerium nichts.“
ALTERNATIVEN AUFGEZEIGT
Doch sein Hauptreferat beinhaltete nicht nur Kritik an den Plänen der Bahn, sondern zeigte auch von ihm ausgearbeitete Alternativen auf. So müssten die drei Knotenpunkte Hannover, Hamburg und Bremen unbedingt entlastet werden. Hannover sei bereits an der Grenze der Belastbarkeit angekommen. Die Strecke Lüneburg-Uelzen sei total überlastet, hier sei eine Dreigleisigkeit unerlässlich. Und speziell in Celle könne viel erreicht werden, indem man kapazitätskonforme Überholgleise für den Güterverkehr, der stets am Rollen gehalten werden müsse, auf freier Strecke schaffen würde. Zudem könnten zusätzliche Weichen bewirken, dass der Bahnhof mit hoher Geschwindigkeit durchfahren werden kann. Keinesfalls sollte jedoch die bestehende Wohnbebauung angetastet werden. Es brauche übergesetzlichen Lärmschutze im Siedlungsbereich Celles. Zudem wäre ein Tunnelbauwerk eine Möglichkeit, den zunehmenden Güterverkehr zu bewältigen.
Die abschließende Diskussionsrunde hätte deutlich länger sein können, die Fragen der Interessierten wurden relativ kurz beantwortet. „Was ist denn mit der A7-Variante, sind die Auswirkungen denn auch so katastrophal für Anwohner und Natur? Darüber wurde hier kein Wort verloren“, meldete sich ein junger Mann zu Wort. Ein anderer Gast regte an, mehr Offenheit für die Neubauvarianten zu zeigen, sie würden durchaus Chancen bergen. Mehrfach war in den Referaten von notwendigen Brücken die Rede gewesen, beispielsweise in Boye. Dieses wurde während der Fragerunde aufgegriffen: „Allein über die neue Ostumgehung bauen wir 7 Brücken.“