HANNOVER. Bereits im Frühjahr 2021 hat das Land Niedersachsen über den Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) eine Studie zur Wolfspopulation in Auftrag gegeben. Diese soll Erkenntnisse über den sogenannten günstigsten Erhaltungszustand für den Wolf in Deutschland ermitteln. Die Ergebnisse wurden gestern vorgestellt.
Der NABU fasst seine Sicht auf die Studie in einer Pressemitteilung wie folgt zusammen:
Dr. Holger Buschmann, Landesvorsitzender des NABU Niedersachsen, fand die Studie durchaus interessant: „Wir müssen uns die Studie nochmal genauer anschauen, aber gemäß der präsentierten Inhalte kann sie entgegen den Aussagen von Olaf Lies nicht als Grundlage für politisches Handeln genommen werden. Erstens ist die Grundlage für alle Modellberechnungen der Studie ein exponentielles Wachstum der Wolfspopulation in Niedersachsen. Aktuell haben wir aber ein deutlich geringeres Wachstum. Zweitens ergeben allein 4 von 23 gerechneten Szenarien ein Aussterben des Wolfes bis 2030. Wenn dann auch noch der Parameter Wolfspopulationswachstum im Modell deutlich überschätzt wird, dürften deutlich mehr Szenarien zu einer Wiederausrottung der Art führen.
Entscheidend aber ist, dass die Studie keine Aussagen zu der Wirkung einer Reduktion des Wolfsbestandes bzw. eines verlangsamten Wachstums der Wolfspopulation auf die Nutztierrisse macht. Minister Lies hat sehr deutlich gemacht, dass er mehr Wölfe schießen lassen möchte, damit die Population langsamer wächst. Er sagte aber auch selbst, dass er weiterhin ein Wachstum der Population möchte und die getätigten Fehlabschüsse der letzten Jahre keine Auswirkungen auf das Wachstum hatten. Da zusätzlich wissenschaftlich belegt ist, dass Nutztierrisszahlen sich durch Abschuss erst dann verringern, wenn die Wolfspopulation verringert wird, stellt sich die Frage, was die Studie an zusätzlichen Kenntnissen in der Debatte um Wolfsabschüsse bringt.“
Insgesamt scheint die Frage der Nutztierrisszahlen, die aufgrund des zunehmenden und besseren Herdenschutzes in den letzten drei Jahren in Niedersachsen trotz steigender Wolfszahlen deutlich zurückgehen, in den Hintergrund der politischen Debatte zu geraten. Es scheint eher darum zu gehen, nun nicht das Gesicht bei einer gescheiterten Wolfspolitik zu verlieren, weil immer deutlicher wird, dass man mit den Abschüssen von Wölfen weder den Nutztierhaltern noch den Wölfen hilft. Nach Ansicht des NABU und der wissenschaftlichen Experten ist für eine Entnahme von Einzeltieren ausschließlich entscheidend, ob diese tatsächlich gelernt haben, empfohlene und zumutbare Herdenschutzmaßnahmen zu überwinden. Wenn letzteres passiert, ist eine Entnahme dieser Tiere auch nach Ansicht des NABU sinnvoll. Eine Abschussquote ist dagegen vollkommen sinnfrei, weil durch die Zerstörung von Rudelstrukturen sogar erhöhte Nutztierrisse die Folge sein können. Das Beispiel Frankreich, das immer wieder zitiert wird, zeigt, wie es nicht geht. Trotz der europarechtlich nicht zulässigen Abschussquote von rund 19 Prozent in dem Land, steigen die Nutztierrisszahlen immer weiter.
Herdenschutz zeigt Wirkung
Der NABU Niedersachsen hält die Forderungen nach Ober- und Untergrenzen für den falschen Umgang mit dem Wolf und positioniert sich wiederholt deutlich gegen pauschale Abschüsse. „Die einzige dauerhafte Lösung zum Schutz von Nutztieren und des nach EU- sowie Bundesrecht streng geschützten Wolfes kann nur in der Umsetzung konsequenter und fachgerechter Herdenschutzmaßnahmen bestehen“, so Dr. Buschmann. „Die meisten bisherigen Nutztierrisse wären zu vermeiden gewesen, wenn auf die fachgerechte Umsetzung von Herdenschutzmaßnahmen gesetzt würde. Vor allem müssen aber die Weidetierhalter noch stärker bei der Unterhaltung der Herdenschutzmaßnahmen vom Land unterstützt werden. An flächendeckendem Herdenschutz in Wolfsgebieten führt kein Weg vorbei – er wirkt langfristig effizient und zahlt sich für Weidetierhaltungen und Wolf gleichermaßen aus, wie auch das NABU-Projekt ‚Herdenschutz Niedersachsen‘ erfolgreich zeigt“, bekräftigt der Landesvorsitzende. „Bisherige Abschüsse haben zudem immer die falschen Individuen getroffen und keinerlei Wirkung erzielt.“
Die offizielle Nutztierrissstatistik Niedersachsens belegt, dass Schadensfälle vor allem dort auftreten, wo kein entsprechender Herdenschutz durchgeführt wurde. In Gegenden, in denen der Wolf länger präsent ist und in denen bereits seit längerem Herdenschutz betrieben wird, gehen die Risszahlen nachweislich zurück. Der Abschuss von Wölfen verringert die Zahl an Nutztierrissen dagegen nachweislich nicht – fachliche Studien haben gezeigt, dass der generelle Abschuss von Wölfen die Zahl an Nutztierrissen nur dann verringert, wenn die Art wieder ausgerottet wird.
Forsa-Umfrage bestätigt Zustimmung zum Wolf
Der NABU hatte im vergangenen Jahr bundesweit eine repräsentative Forsa-Umfrage zum Wolf in Auftrag gegeben. 2.360 Personen wurden befragt, um zu ermitteln, ob sich mit der Zunahme des Wolfsbestandes und Ausbreitung in weitere Bundesländer die Einstellung gegenüber Wölfen verändert hat. Insgesamt 69 Prozent der Befragten finden es erfreulich, dass Wölfe wieder hier leben. „Die Bevölkerung in Niedersachsen akzeptiert die Rückkehr des Wolfes nach Niedersachsen. Wir sehen uns durch die Umfrageergebnisse in unserer Wolfsarbeit bestätigt: Wölfe gehören als heimische Tiere in unsere Landschaft. Von der Politik erwarten wir, dass sie, anstatt sich um Obergrenzen und Bejagung zu streiten, sich der Unterstützung der Weidetierhaltung und des Herdenschutzes widmet. Parolen gegen den Wolf helfen nicht weiter, sondern nur praktische Unterstützung der Weidetierhaltungen vor Ort. Die Weidetierhalter fühlen sich in diesem Punkt zu Recht allein gelassen und werden sich noch mehr allein gelassen fühlen, wenn Bestandsregulierungen umgesetzt werden, sie aber weiterhin mit ihrem Problem kämpfen müssen“, betont Dr. Holger Buschmann.
Weitere Informationen
Forsa-Umfrage des NABU: www.NABU.de/tdw2021
Weitere Hintergründe zum Wolf: www.NABU.de/wolf