LACHENDORF. Die Reihen haben sich bereits geleert, aber Anneke, Sophia und Emma verweilen noch im Forum des Immanuel Kant Gymnasiums Lachendorf und reden. Die „Politikprominenz“ hat die Bühne verlassen, „wir hätten hier ruhig noch eine Stunde länger sitzen können“, sagt Emma Gierendt. Die 18-Jährige fand die gestrige Podiumsdiskussion zum Thema „Warum unsere Demokratie?“ sehr gelungen. „Das war eine extrem wichtige Veranstaltung.“ Aber dass die Schüler im Publikum zum Schluss so gut wie keine Fragen stellen konnten, kritisiert sie und ist sich hier einig mit ihren Freundinnen Anneke Anton (18) und Sophia Koschick. Letztere bezeichnet ihr Gymnasium als eher „politikfern“. „Das ist ein Problem“, hebt die 17-Jährige hervor.
Die Fachgruppe Politik-Wirtschaft unter Leitung von Studienrat Tobias Kruse-Heidemann wirkte dem entgegen, indem sie sechs Frauen und Männer einlud, die in unterschiedlicher Weise mit dem Thema Politik befasst sind. Anja Schulz sitzt für die FDP im Bundestag ebenso wie Dirk-Ulrich Mende für die SPD, dieser ist auch auf kommunaler Ebene politisch engagiert. Gleiches gilt für Jörn Schepelmann (CDU) und Jens-Christoph Brockmann (AfD), die zudem im niedersächsischen Landtag jeweils über ein Mandat verfügen. Alle im Bundestag vertretenen Parteien sollten sich laut Schulleiter Jörg Möllenhauer, der ein paar Begrüßungsworte an die Gäste im vollbesetzten Forum richtete, auf dem Podium wiederfinden.
Für die Linke hatte man Manuela Mast eingeladen, für die Grünen Johanne Gerlach, beide Kandidatinnen für die Landtagswahl im Hebst 2022, die allerdings keinen Sitz errungen.
Das Moderatorenduo Paula Schwolow und Lennon Sommer zeigte sich bestens vorbereitet, konnte auf im Vorfeld durchgeführte Umfragen unter den Jahrgängen der Oberstufe zurückgreifen, um die Fragestellungen zu unterfüttern. 86 % der Befragten hätten das Gefühl, nur wenig mitwirken zu können, nähmen sich in der Partizipation als eingeschränkt wahr, referierte Paula zum Auftakt und bat die Runde um Antwort auf: „Ist unsere repräsentative Demokratie überholt?“ Weiter ging es mit: „Was gefährdet unsere Demokratie?“, „Können Sie nachvollziehen, dass sich rund 45 % mehr direkte Demokratie wünschen?“, „Sollte gegen extreme Strömungen in Parteien härter vorgegangen werden?“ und vielen weiteren Themen rund um unsere Form der Herrschaft. Die Beiträge hoben allesamt die unzähligen Vorzüge des demokratischen Systems hervor, die Parteizugehörigkeit bildete sich angesichts des übergeordneten Themas eher wenig ab.
Nie gab es zwischendurch für einen Beitrag Applaus. Der Versuch des Moderatorenduos, die AfD in eine Außenseiterrolle zu drängen, indem man das Eingangsstatement Brockmanns als Beleg für mangelndes Demokratiebewusstsein interpretierte, schlug fehl. Brockmann widersprach und stellte richtig, er habe lediglich zusätzliche direkte Elemente gefordert. Dirk-Ulrich Mende zeigte sich fast ein wenig empört angesichts der speziell an ihn gerichteten Frage von Seiten des Moderators: „Halten Sie den Durchschnittsbürger für ausreichend gebildet, um am demokratischen Prozess teilzunehmen“? und konterte: „Wie kommen Sie darauf, mich so etwas zu fragen? Ich verstehe das nicht.“ Ohne Widerspruch blieb die undifferenzierte Darstellung der Presse von Mast, Gerlach und Schulz. Auf die Frage, was unsere Demokratie gefährde, hieß es von Mast: „Fake-News, Stimmungsmache. Presse neigt dazu, zu vernebeln.“ Die Presse mit ihren Fake-News sei ein Problem, äußerte Gerlach. Schulz wurde nicht müde, die Überlegenheit der gewählten Vertreter bei der Lösungsfindung zu betonen und kritisierte im Zuge dessen die Rolle der Presse. Über Sachverhalte und Hintergründe aufzuklären sei ein wichtiges präventives Mittel, dafür gebe es die Zentralen für politische Bildung auf Bundes- und Landesebene. Die Medien blieben in diesem Zusammenhang unerwähnt.
Auffallend, dass Mende die Äußerung Schepelmanns, das hohe Gut der Meinungsfreiheit dürfe man nicht beschränken, „manches sei nicht mehr sagbar“, mit Wokeness in Verbindung brachte. Und so durfte ein Begriff, der derzeit en vogue ist, nicht fehlen: Respekt. „Respekt und Anstand und Empathie braucht es“, sagte Mende, Wokeness solle man nicht diskreditieren, schickte er hinterher.
Die Gesprächsrunde verlief ohne Ausschläge nach oben oder unten im angemessenen und üblichen Miteinander und Ton. Eine Selbstverständlichkeit, eigentlich nicht der Erwähnung wert, aber sowohl aus den Reihen der Podiumsteilnehmer wird in der Schlussrunde das Label „respektvoller Umgang“ vergeben, als auch die Schüler heben diesen im Nachhinein hervor.
„Trockene anderthalb Stunden“ hatte ein Schüler der Oberstufe erwartet, „aber das war es überhaupt nicht“, sagt er beim Verlassen der Schule. „es war eine gute Moderationsleistung und sehr interessant.“ Allerdings fehlte auch ihm die Chance der Beteiligung des Publikums am Schluss. „Es war doch als partizipativ angekündigt.“ Sein Freund Benny Kuhls schließt sich der Beurteilung an und nennt ein Stichwort, das das Defizit der Veranstaltung aus Sicht der Schüler auf den Punkt bringt: „Zeitmanagement“.