
CELLE. Der Schluckakt ist ein hochkomplexer Vorgang, an dem mehr als 25 Muskelpaare beteiligt sind. „Kommt es hier zu Störungen und Komplikationen, so spricht man von Dysphagien. Die Ursachen für eine Störung des Schluckablaufes können dabei vielfältig sein - und die Auswirkungen beträchtlich“, sagen Dr. med. Mimoun Azizi, Chefarzt der Klinik für Geriatrie und Neurogeriatrie im Allgemeinen Krankenhaus (AKH) Celle, und Logopädin Jennifer Bredehöft.
Schluckstörungen beeinträchtigen nicht nur die Lebensqualität, weil etwa das Essen des Lieblingsgerichts nicht mehr möglich ist, sondern können auch zu schwerwiegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen. „Das Eindringen von Nahrung oder Flüssigkeit in die Lunge kann eine Lungenentzündung verursachen. Mangel- und Fehlernährung führen zu Gewichtsverlust und Flüssigkeitsmangel. Wichtige Medikamente können nicht mehr eingenommen werden. Die Betroffenen ziehen sich dadurch oftmals zurück und nehmen nicht mehr im gewohnten Maße am Sozialleben teil. Diese möglichen Auswirkungen zeigen, dass Schluckstörungen als Gefahr für die Gesundheit oftmals leider noch immer unterschätzt werden“, beschreibt der Chefarzt.
Schluckstörungen können dabei etwa durch eine Erkrankung des zentralen und des peripheren Nervensystems sowie durch Fehlsteuerung der neuromuskulären Übertragungen verursacht werden und treten häufig nach Schlaganfällen, Verletzungen des Gehirns und weiteren neurologischen Erkrankungen wie Morbus Parkinson, ALS oder Demenzen auf. Aber auch durch Tumorbehandlungen im Kopf- und Halsbereich können Schluckstörungen hervorgerufen werden.
„Im Rahmen des Alterungsprozesses eines Menschen verändert sich das Schlucken ebenfalls“, erläutert Dr. Azizi. Abbau der Muskelmasse führt zu Kraftverlust. Das Kauen ist anstrengend. Die Bewegungen beim Kauen und Schlucken werden langsamer, vielleicht ist auch die Zahnprothese nicht optimal angepasst. Der Schluckreflex löst mit zunehmendem Alter später aus. Die Veränderungen können vielfältig sein. Kommen Erkrankungen dazu, fällt das Kompensieren solcher Prozesse schwerer. In der Klinik für Geriatrie und Neurogeriatrie am AKH Celle werden Schluckstörungen mit diesem Hintergrund häufig erfasst.
„Wir bieten dabei eine qualifizierte, apparative und klinische Schluckdiagnostik an. Der klinische Schluckbefund umfasst eine Untersuchung der am Schluckakt beteiligten Muskulatur und Nerven. Schluckversuche mit unterschiedlichen Konsistenzen werden durchgeführt. Ergänzend besteht die Möglichkeit der endoskopischen Schluckuntersuchung“, erläutert Dr. Azizi.
Die Untersuchung des Schluckaktes wird mittels einer standardisierten fiberendoskopischen Kontrolle durchgeführt. „Dabei wird ein dünnes Endoskop im Rachen platziert, dies ermöglicht einen Blick in den Rachen direkt auf die Eingänge von Luft- und Speiseröhre. Über den Mund können die Patientinnen oder Patienten nun ganz normal Nahrung aufnehmen. Es werden verschiedene Konsistenzen angeboten, die zur besseren Beurteilung mit Lebensmittelfarbe eingefärbt werden. So kann erkannt werden, ob sich Nahrung, Flüssigkeit oder Medikamente leicht schlucken lassen, im Rachen hängen bleiben - oder sogar in die Luftröhre eindringen“, sagt Dr. Azizi. „Alles natürlich medizinisch bestens durch Fachleute betreut.“
Zur ganzheitlichen Erfassung der Schluckstörungen wird dabei auf eine interdisziplinäre Diagnostik gesetzt. „Das heißt, dass bei uns unter anderem Neurologen, Neurogeriater, Gastroenterologen, Logopäden und Sprachtherapeuten sowie das medizinische Pflegepersonal im regen Austausch zusammenarbeiten. Dabei ist nicht nur das Ermitteln von Gefahren das Ziel, vielmehr sollen auch therapeutische Möglichkeiten und Strategien erarbeitet werden, um die orale Nahrungsaufnahme gesichert zu ermöglichen“, erläutert der Chefarzt.
Nach der Untersuchung wird ein ausführlicher Befund erhoben. Aufbauend auf den Ergebnissen werden individuelle Therapieschwerpunkte entwickelt. „Diese können eine Anpassung und Beratung bezüglich der Kostform beinhalten. Zum Beispiel den Verzicht auf krümelige oder trockene Nahrung und Vorschläge und Empfehlungen für Alternativen“, erklären Azizi und Bredehöft. Auch durch Schluckmanöver und Hilfsmittel können Kompensationsstrategien erarbeitet und durch gezielte Übungen innerhalb der Schlucktherapie gestörte oder verloren gegangene Fähigkeiten wiederhergestellt werden.